Wolfgang Meisenheimer

Akademiereihe heft 3

Die Architektur als Szenerie des Gefühls

Dokumentation eines Seminars zu Fragen der Architektur-Theorie, veranstaltet im Lehrgebiet Grundlagen des Entwerfens (Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Meisenheimer) durch den Fachbereich Architektur der Fachhochschule Düsseldorf im SS 2001, Schloß Gnadenthal bei Kleve

Inhalt:

Wolfgang MeisenheimerEinführung in den Themenkreis
Peter Foos Wahrnehmung, Vorstellung, Empfindung, Stadien der Erkenntnis
Wilfried KorfmacherWerbewelt. Die systematische Überlistung des Sympathiegefühls
Karsten K. KrebsAufstieg und Abstieg in der Philosophie. Eine Erörterung des Erhabenen
Petra-Maria Meyer Stimmen, Stimmungen und Atmosphären
Ralf Wörzberger Ingenieurarbeit zwischen Emotion und Ratio
Christoph KronhagelDas elektronische Erzeugen von Architektur- Atmosphären
Clara SaalDie wechselnde Suche nach Räumen für Intimität
Hermann SchmitzDer Leib, der Raum und das Gefühl


Referenten- Verzeichnis:

Dr. Peter Foos (Philosoph, Uni Köln), Prof. Wilfried Korfmacher (Grafik-Designer, FH Düsseldorf), Prof. Karsten K. Krebs (Innenarchitekt, Architekt, Städtebauer, Hannover, FH Düsseldorf), Dr. habil. Petra-Maria Meyer (Philosophin, Theaterwissenschaftlerin, Privatdozentin, Uni Mainz und Kunstakademie Düsseldorf), Prof. Dr. Ralf Wörzberger (Bauingenieur, Tragwerks-Theoretiker, Köln, FH Düsseldorf), Dipl.-Ing. Christoph Kronhagel (Architekt in ag 4 mediatecture, Köln), Prof. Clara Saal (Innenarchitektin, Willich, FH Düsseldorf), Prof. Hermann Schmitz (Philosoph, Uni Kiel)

Einführung in den Themenkreis

Erste definitorische Annäherung.

Die naive Vorstellung von Ich und Welt sagt: "dort sind die Dinge, hier bin ich, und beides befindet sich in einem Raum". Diese Vorstellung ist falsch. Schon das erste Stutzigwerden zeigt, die Wahr-Nehmung der Dinge ist undeutlich und reichlich verworren. Vorstellungen und Wünsche, Bewertungen, Ideenhaftes etc., also vielerlei Qualitäten unseres INNEN-Lebens sind in die Wahrnehmung der AUSSEN-Welt eingemischt. Dinge als reine Objekte sind nicht zu finden. Bei den Erlebnisvorgängen sind Wahrnehmungen und Vorstellungen zunächst nicht voneinander geschieden. Außerdem scheinen sich die Dinge bei den Erlebnisvorgängen zu ändern, sie sind nicht konstant, obgleich wir gerade das annehmen. Und auch das ICH ist nicht konstant, es ändert sich mit den Erfahrungen. Also scheint die Relation Ich und Ding weniger den Charakter Betrachter/Dingwelt zu haben als vielmehr den eines Handlungsfeldes, eines Spielfeldes oder einer Szene mit wechselndem Geschehen. Eine Art "Gefühl" ist bei der Welterkenntnis offenbar - trotz aller definitorischen Unklarheiten - das elementar Gegebene. Gefühle sind wie Filter, in denen sich nach und nach zeigt, was Ich ist und was Dingwelt.

Der Leib ist mit den Gefühlen stark verbunden, er wird von den Gefühlen ergriffen. Sie erzeugen in ihm Atmosphären und dazu passende Gebärden, die wiederum Neigungen zu bestimmten Bewegungsverhalten darstellen und zudem die Grundlage der sozialen Kommunikation sind. Gefühle bestimmen auch die elementaren Ausdrucksqualitäten der Architektur, besonders der Architektur verstanden als Bewegungsraum. Vor der Besprechung der Rolle der Gefühle in der Architektur sollen einige definitorische Positionen aus Philosophie und Psychologie angedeutet werden.

Anmerkungen zur Geschichte der europäischen Philosophie als Geschichte der Skepsis an den Sinnen

Der vorhistorische Animismus war ein blinder Glaube an die Allbeseelung der Welt, er ging davon aus, die Dinge selbst seien voller Gefühle. Seelische Mächte (oft anthropomorph gedacht) beherrschten insbesondere die Natur mit Freude, Leid und Schicksalen. Die frühe europäische Philosophie nimmt wohl den Menschen mehr und mehr als Mittelpunkt der Welt an, sie beginnt aber schon bei den griechischen Anfängen, das sinnliche Fühlen der Menschen immer kritischer zu sehen. Bei Demokritos (um 400 v.Chr.) ist das Organ des Denkens allein das Gehirn: dort werden Seelenatome durch die Atome der Dinge in Bewegung versetzt. Plato (um 400 v.Chr.) geht von grundsätzlicher Skepsis gegenüber der Wahrnehmung der Sinne und vom Vertrauen in die Ideenwelt und ihre Abbilder, die Begriffe, aus. Im "Höhlengleichnis" wird die Sinnen-Skepsis eindringlich dargestellt. Durch Schönheit und Eros wird besonders die Sehnsucht der Seele nach Ideen angeregt ... Seitdem wurde die Sinnlichkeit eher dem organischen Körper zugeordnet, als Erkenntnisinstrument aber gering geachtet. Die inneren Vorstellungen seien entscheidend, die Konzeptwelt, die Verstand und Vernunft erzeugen, sei das eigentlich Menschliche. Durch diese Überzeugung wurde die Welterfahrung in Europa immer kopflastiger. Der erlebte, wahrgenommene, gespürte Körper wurde im christlichen Weltbild (etwa bei Augustinus, ca 400 n.Chr.) geradezu verachtet. Etwas sinnlich Wahrgenommenes galt gegenüber Ideenhaftem als NICHTS:

Mit dem Beginn der Neuzeit, besonders seit der Aufklärung beginnt eine Art Rückbesinnung auf die Rolle des Leibes und seiner Sinnlichkeit beim Spüren des Selbst und der Welt und bei den Vorgängen der Erkenntnis. Bei Baruch Spinoza (1632-77) produziert der Geist zwar das Bewußtsein von den Dingen, das aber ist nur möglich bei Erregungen des Körpers. Die Lehre vom transzendentalen Apriori von Immanuel Kant (1724-1804) kann verstanden werden als Versuch, empirisch-sinnliche Eindrücke und rationale Strukturen der Erkenntnis nicht nur zu sammeln, sondern voneinander abhängig darzustellen.

Die historisch entstandene Subjekt-Objekt-Trennung ist damit aufgehoben. Damit beginnt ein neues philosophisches Zeitalter. Ichwelt und Objektwelt, Sensuelles und Gedachtes: die Vorgänge der Erkenntnis spielen sich für unser heutiges Verständnis in einer Überlappung dieser Grundstrukturen ab.

Anmerkungen zur Geschichte der Psychologie als Theorie des Gefühls

Gegenstand der psychologischen Theorie des Gefühls ist der Zwischenbereich zwischen Innenwelt und Außenwelt in der Schwebe zwischen Wahrgenommenem, Erinnerungen, Erwartungen, Ideen, Wünschen etc... Hermann Schmitz spricht von "Brückenqualitäten" zwischen dem eigenen Leib und den Dingen draußen. Zu einer noch so flüchtigen Skizze einer Geschichte der Theorie des Gefühls gehören folgende Namen:

Franz v. Brentano (+ 1917) spricht von Seele als einer Art innerer Wahrnehmung, die sich auf etwas richtet.
Ernst Mach (+ 1916) analysiert einzelne Empfindungen und stellt dabei Fragen zu Raum, Zeit, Rhythmus und Gestalt.
Wilhelm Dilthey (+ 1911). Für Dilthey ist der Lebenszusammenhang als ein Ganzes bedeutend, nicht mehr nur als Kom-Position von Elementen.
Theodor Lipps (+ 1914) entwickelt eine besondere auf die Kunsttheorie einflußreiche "Einfühlungstheorie" (gehe in dich!), die die Grundvorgänge des intersubjektiven Verstehens erklären soll.
Sigmund Freud (+ 1939) unterscheidet drei Antriebsbereiche der Seele: das Unbewußte (das ES), das Wachbewußtsein (das ICH) und das Über-Ich.
Carl-Gustav Jung (+ 1961) unterscheidet im Unterbewußtsein Persönliches (a) und Menschheitlich-Typisches (b).
Henri Bergson (1941). Intuition ist als Erkenntnisorgan (neben der Intelligenz) das Innewerden des Erlebens.
Edmund Husserl (1938) beharrt auf der Mitdarstellung des Leibes in allen seelischen und geistigen Akten.
Max Scheler (+ 1928) entwickelt eine umfangreiche "Theorie der Gefühle" mit phaenomenologischen Beschreibungen der psychischen Phaenomene im Ober- und Unterbewußtsein. Dabei kommt er zur typologischen Unterscheidung von sinnlichen, seelischen und geistigen Gefühlen und deren Überlagerung als eigene, innere Qualitäten.
Hermann Schmitz (geb. 1928), Prof. in Kiel, emer. 1993) Hauptwerk "System der Philosophie", "Der Leib, der Raum und die Gefühle" bei Ed. Tertium, 1998).Schmitz untersucht u.a. mit phaenomenologischen Methoden, wie aesthetische Gebilde, z.B. Architektur, Atmosphären des Gefühls vermitteln.

Gefühl und Atmosphäre im elektronischen Zeitalter

Gerade durch die Nutzung elektronischer Geräte wird die Untrennbarkeit von Objektwelt und Ich für jedermann immer deutlicher. Die Frage nach der Leibabhängigkeit (oder Unabhängigkeit) beider wird auch zum erregenden Thema der Kunst, der Medienpraxis und der Architekturtheorie:

  • Die Fragen der bloßen Bild-Imitation von "Wirklichkeit" werden immer obskurer, sie werden eher als Problemfälle gesehen.
  • Die ganze erlebbare Welt scheint "fiktional". Wir beobachten das Überborden von Darstellungstechniken, Bilderwelten etc..
  • In der Philosophie wird ein radikaler "Konstruktivismus" diskutiert (Maturana, Wazlawick u.a.). Die Welt in der wir leben wird als totales "Konstrukt" erklärt.

Das Interesse des Seminars liegt darin, gegen die "logische Euphorie" der Elektronik Front zu machen , dabei stärkere Aufmerksamkeit für die Leibwelt zu entwickeln und unsere Erfahrungsfähigkeit (auch als entwerfende Architekten) zu stärken.

Architektur als "Szenerie des Gefühls"

Architektur ist rational erfaßbar nur in distinkten Bereichen der Planung, Forschung und Herstellung: in der statischen und der wirtschaftlichen Kalkulation, bei der Betriebsbeschreibung, bei der Analyse von Herstellungsprozeduren etc.. Architektur ist dagegen eher intuitiv erfaßbar: im Entwurf, beim realen Wahrnehmungs-Erlebnis, in der Erinnerung, in der Vorstellung usw.. Dort ist Architektur ein Katalog von übereinandergelagerten ratio-nalen Strukturen, hier ist Architektur ehe eine Szene der Gefühlswelt. Es ist unsinnig und naiv, die Architektur als eine Ding-Welt aufzufassen, die uns gegenübersteht und die unserem Verstand und Gefühl zur Verfügung steht.

Es ist dagegen sinnvoll, davon auszugehen, die gebaute Welt sei ein Konstrukt dem man sich auf sehr verschiedene Weise nähern kann - als Ingenieur, als Kalkulator, als Dichter, als ein Sich-erinnernder, Träumender, als Nutzer, Bewohner, Besitzer etc., - einmal geschieht das eher rational-logisch, ein andermal eher emotional-atmosphärisch. Einmal wird die Charakteristik der Phaenomene auf Dingeigenschaften bezogen, stark rationalisiert und möglichst unabhängig vom Ich, ein andermal wird sie eher auf Gefühle, Stimmungen und Gesten des Leibes bezogen, abhängig vom lebendigen Ich.