Wolfgang Meisenheimer

Akademiereihe heft 7

Zwischen außen und innen

Werkbundakademie 2005, Herne

Inhalt:  

Wolfgang MeisenheimerEinführung in den Themenkreis
Sharon Chung-Klatte Innen und außen. Ein interkultureller Vergleich
Peter FoosDie Falte als Kipp-Pänomen mit Außen-innen-Übergängen Weiterentwicklung von Gilles Deleuze’s „Faltentheorie“
Ulrich KnaackHäute, Membranen, dünne Schalen
Benedikt StahlDas Schwellenerlebnis. Ein architektonisches Urphänomen
Gerhard VinckenRänder, Grenzen, Inseln als städtebaulicher Topoi. Ein Forschungsprojekt
Gregor M. Rutrecht Fenster und Türen – das erotische Spiel an der Haut des Baukörpers
Eva Filter  Die älteste soziale Besetzung der Wohnarchitektur: die Frau herrscht innen, der Mann außen.
Kazuhisa Kawamura Die Verwandlung des „Außen-innen-Denkens“ in der japanischen Architektur

Referenten:

Dr. Wolfgang Meisenheimer (Architekt, Architekturtheoretiker), Leitung Akademie DWB NW, Düren, Sharon Chung-Klatte, Architektin, Düsseldorf /Alfter, Dr. Peter Foos, Philosoph, Künstler, Düsseldorf /Köln, Prof. Ulrich Knaack, Architekt, Düsseldorf /Detmold, Prof. Benedikt Stahl, Architekt, Düsseldorf /Detmold, Dr. Gerhard Vincken, Kunsthistoriker, Düsseldorf, Aachen, Prof. Gregor M. Rutrecht, Architekt, Designer, Aachen /Kaiserslauten, Prof. Eva Filter, Innenarchitektin, Willich /Detmold, Prof. Kazuhisa Kawamura, Architekt, Köln /Mainz

 

Einführung in den Themenkreis

Von vier Blickpunkten aus werde ich versuchen, Grundphänomene zum Thema ZWISCHEN INNEN UND AUSSEN zu skizzieren: philosophisch, biologisch, psychologisch und kunsttheoretisch. Alle Beiträge zur Akademie, Vorträge, Diskussionen und Gespräche, sind in diesen Rahmen einzufügen.

 

Grundphänomene philosophisch

Für das naive, vorwissenschaftliche Weltverständnis in Europa ist – im Unterschied zum asiatischen etwa – das ICH „innen“ und die WELT „außen“. Gedanken, Gefühle und Ideen werden eher innen, Dinge, Gegenstände eher außen vorgestellt. Die große Erschütterung des philosophischen Denkens durch Immanuel Kant (1724 – 1804) bestand eben darin, mit seiner Transzendentalphilosophie ein für allemal aufzuzeigen, dass Subjekt (Ich) und Objekt (Welt) nicht voneinander unabhängig sind, dass die „äußere“ Welt vielmehr von „Formen“ und „Strukturen“ des Subjekts (Raum, Zeit, Kausalitätsprinzip usw.) durch und durch geprägt ist, dass innen und außen in diesem Sinne also voneinander abhängig sind. Innen/außen gibt es nicht AN SICH, sondern nur FÜR UNS. Die Kulturgeschichte der Menschen (Produktionen und Gedankengebäude) zeigt allerdings einen ständigen Wechsel in der Auffassung von innen, außen und deren Verhältnis zueinander. Während in magisch-mythischen Frühzeiten z.B. Wahrnehmung und Traum, Geisterglauben und Erforschung der Naturkräfte wild miteinander vermischt waren, versuchte man mit dem Aufkommen von Naturwissenschaft und Technik eine totale „Objektivierung“ der Dinge (Realismus) einerseits, aber auch die totale Dominanz des Ich bei aller Erkenntnis (Solipsismus) andererseits zu artikulieren.

In unserem Themenkreis ist das Phänomen HAUT von besonderem Interesse, die Oberfläche des Körpers also, die als „Projektionsfläche“ der Welterfahrung und auch der Selbstdarstellung verstanden werden kann – sehr wohl auch philosophisch. Z.B. hat Gottfried W. Leibnitz (1646-1716) sein – eher allegorisches – Bild des menschlichen Verstandes so beschrieben: er sei wie ein Zimmer, in dem ein Archiv von Membranen mit vielerlei Falten aufbewahrt wäre, die die Prägungen alter und neuer Erfahrungen, Wahrnehmungen und Ideengebilde darstellten. Gilles Deleuze hat in unserer Zeit dieses Bild zum Anlass genommen, seinerseits über das Faltenphänomen zu schreiben und damit – nicht nur in Frankreich - eine heiße Phase der postmodernen erkenntnistheoretischen Diskussion auszulösen. Friedrich Nietzsche (1844 - 1900) rief -z.B. in der Vorrede zu „Fröhliche Wissenschaft“ ... „Oh..diese Griechen....!“- zur Bewunderung der „Tiefe“ in der „Oberfläche“ bei den künstlerischen Schöpfungen der alten Griechen auf und rief damit ein geradezu euphorisches Staunen der Philosophie über die Ausdruckskraft der Kunst hervor. Das hatte vielerlei Konsequenzen im Denken der Gegenwart. Peter Sloterdijk z.B. nennt seine neue philosophische Trilogie „Sphären I – III“, wobei Sphäre zunächst Blase bedeutet, d.h. eine aufgeblasene Haut.

 

Grundphänomene biologisch

Schale, Haut, Fell, Rinde und Pelz schützen den Kern, das Fruchtfleisch, das weiche, feuchte Innere einer Frucht vor dem Umfeld, vor Wetter, Klima und den äußeren Bedingungen der Jahreszeit. Auch die Haut des menschlichen Körpers schließt ein kostbares Inneres ab gegenüber dem Umraum, sie schützt und bewahrt. Aber sie ist ebenso die Oberfläche, auf der sich der Austausch des Lebens „zwischen außen und innen“ abspielt. Sie beträgt 1/6 des Körpergewichtes und (bei Erwachsenen) ca. 1/6 der Körperoberfläche. Sie ist mehrschalig in ihrem Gewebeaufbau und enthält eine differenzierte Ausstattung von Schuppen, Haaren, Nägeln und verschiedenen Arten von Drüsen sowie die äußeren Sinnesorgane (Mund, Nase, Ohren, Geschlechtsorgan, Anus), die man als Hautöffnungen und Hautein- und Ausstülpungen verstehen kann, also als Türen zwischen außen und innen. Ohne Haut kann der Mensch nicht leben, sie ist das einzige lebensnotwendige Sinnesorgan, mit ihrer ganzen Oberfläche ist sie am Stoffwechsel des Menschen beteiligt, so z.B. am ständigen Austausch von Sauerstoff und Kohlendioxyd – etwa mit 1/1o der Lungenatmung. Wir alle wissen seit unserer Kinderzeit, dass nicht nur die Hautkrankheiten Indices sind für viele psychosomatische Lebensumstände, sondern ALLE Begegnungen unseres Selbst (des biologischen corpus wie der Seele und des Geistes) mit der Welt ringsum von der Haut reflektiert werden. Im kulturellen und im ökonomischen Sinne ist die Körperhaut des Menschen zu einem Schlachtfeld der internationalen chemischen Industrie, des Body-Building und der Beauty-Shops geworden, so dass man von „natürlichen“ Zuständen der DERMA kaum noch reden kann.

 

Grundphänomene psychologisch

Die ersten Welterfahrungen des Menschen entstehen wohl durch den Hautkontakt von Mutter und Kind, Berührung, Wärme, Schutzgefühl und die elementare Empfindung von Nähe, Ich und Du. Didier Anzieu (1922 – 1999) spricht vom HAUT-ICH, das die Vorform vom Gefühls-Ich, ja vom Denk-Ich sei. Die menschliche Haut habe drei unterscheidbare Funktionen, sie sei erstens ein Beutel, indem sie das Innere des Körpers zusammenhält, sie sei zweitens die Innen-außen-Grenze, trenne also das (innere) Selbst von der (äußeren) Welt und sei drittens der erste Schauplatz von Näherung und Abgrenzung, d.h. die Projektionsfläche der Kommunikation mit den Dingen und mit anderen Menschen. Da die Haut das einzige Organ mit Reflexstruktur ist (d.h. sie fühlt und wird zugleich gefühlt), empfinden wir sie als eine Art Projektionsfläche, die sowohl den Eindruck der Welt als den Ausdruck unseres Selbst reflektieren und dadurch zu einem kulturellen Schauplatz unserer Handlungen, zur intimen Bühne unseres Lebensraumes werden kann.

Das empfundene INNEN ist immer die Zone des Vertrauten, des Eigenen, der Heimat; das empfundene AUSSEN ist immer die Zone des Fremden, der Ferne, des Anderen; das INNEN ist warm, das AUSSEN kalt. Da die Hülle der Haut das Innere vor dem Äußeren schützt und zugleich über ihre Öffnungen verbindet, ist im Verlauf der Kulturgeschichte zugleich ein elementares System von Geboten und Verboten entstanden, das unseren Umgang mit ihr bestimmt. Das Übertreten der Verbote (Gefährdung der Intimität, des Schutzes, fremdes Eindringen ins Innere, Bedrohung, Verlust der Wärme) hat zur Ausbildung differenzierter Verhaltenssysteme und zu strengen moralischen, pädagogischen, sozialen und politischen Strafen geführt. Norbert Elias (Über den Prozess der Zivilisation, 1939) hat die Steigerung dieser Tabus gar als DIE Geschichte der Kultur beschrieben. Wenn die Haut bei den Phänomenen der Weltempfindung und der Selbstdarstellung (beim Zittern, Erröten, Blasswerden, Schrumpfen usw.) eher als Membrane zwischen innen und außen verstanden wird, so gehen andere Phänomene (sich bedroht oder befreit fühlen etwa) eher auf die Funktion der Haut als Beutel zurück, nämlich das Fühlen von ENGE und WEITE. Das Enge-Weite-Fühlen führt bei der Entwicklung fast aller kulturellen Produkte zur Prägung wichtiger Ausdrucksphänomene. So gehört auch in der Architektur die Artikulation von Enge und Weite (und ihr Übergang) zu den wichtigsten gestalterisch Gesten.

Eine gewiss vereinfachte Darstellung solcher Beobachtungen hat die „Gestalt-Psychologie“ seit Christian v. Ehrenfels (1859-1932) geliefert und für die Entwicklung ausdrucksvoller Werke als „Arbeits-Werkzeug“ vor allem bildenden Künstlern und Pädagogen zur Verfügung gestellt. Das ist vor allem die Beobachtung, dass bei einer gekrümmten Linie von allen Menschen (unabhängig von ihrem kulturellen Training) Innen- und Außenseiten unterschieden und dass die Innenseiten dabei bevorzugt werden. D.h. das Innere wird leichter als „Figur“ oder „gute Gestalt“ empfunden als das Äußere, das Innen ist gegenüber dem Außen bevorzugt. Einen interessanten Aspekt „postmoderner“ Gestaltung im Design und Architektur stellen die aktuellen Versuche dar, solche „Gestaltgesetze“ infrage zu stellen, „Kipphänomene“ herauszufinden (Falte, Möbiusband etc.) und gerade die Grenzfälle der Regeln zu Ausgangspunkten neuer künstlerischer Arbeiten zu machen.

 

Grundphänomene des innen/außen bei Artefakten, insbesondere in der bildenden Kunst.

Die darstellenden Künste kultivieren auf jeweils besondere Weise die „Intelligenz der Haut“, d.h. sie nutzen die archaische Erfahrung des „Haut-Ich“, ihre Werke als kommunikative Oberflächen zu verstehen. Die Erregungszustände der Körperhaut werden symbolisch in den ausdrucksvollen Oberflächen künstlerischer Objekte DARGESTELLT. Die Malerei illusioniert z.B. die flachen Oberflächen ihrer Bilder, so dass Vibrationen und Tiefenräume entstehen, in denen sich Ausdrucksqualitäten und Ideen zeigen: Membranen in Aktion. Plastiken nutzen die Erfahrung des Leibes mit Enge- und Weite-Kontrasten. Tanz modelliert bekannte und fremde Gesten in überraschendem Gemisch, wobei Gefühle (Innenwelt) und Raumerfahrung (Außenwelt) sich im Leib wie in einer Projektionsfläche begegnen. Die Mode symbolisiert in ständigen Variationen die sprechenden ausdrucksvollen Eigenschaften der Haut, zugleich nutzt sie deren pragmatische Erfahrungen, indem sie den Leib wärmend und schützend zusammenhält.

Auch der Ausdruck des architektonischen Raumes hängt ganz und gar von Urerfahrungen des Leibes ab, insbesondere vom Außen-Innen-Erlebnis sowie der elementaren Spannung von Enge und Weite. Der architektonische Innenraum – DAS architektonische Urphänomen – umgibt den Leib, hüllt ihn ein und steht ihm als Ort der Selbstdarstellung wie der Welterfahrung zur Verfügung – wie die Körperhaut. Die gebaute Hülle ist in diesem Sinne eine hochstilisierte Weiterbildung der Haut, die zwischen innen und außen vermittelt, trennend und verbindend.

In der Entwurfslehre, die ich 20 Jahre lang im Fachbereich Architektur der Fachhochschule Düsseldorf angeboten habe, wurden zwei Arten raumbildender „Elemente“ unterschieden: trennende (Wände, Stützen, Deckenplatten etc.) einerseits und verbindende (Fenster, Türen, Treppen etc.) andererseits. Eine solche Unterscheidung von Entwurfselementen bezieht sich deutlich auf die Körperhaut und ihre Löcher. Schwellen werden dabei – wie sich leicht erkennen lässt – zu Schlüssel-Phänomenen der räumlichen Gestaltung.

Wolfgang Meisenheimer