ad 22
Architektur . Musik . Tanz . szenische Künste
Dokumentation eines Seminars zu Fragen der Architektur-Theorie im Lehrgebiet Grundlagen des Entwerfens (Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Meisenheimer), durch den Fachbereich Architektur der Fachhochschule Düsseldorf im SS 1995, Rolduc
Inhalt:
Wolfgang Meisenheimer | Einführung in den Themenkreis |
Ilka Kügler | Bühne als Architektur - Architektur als Bühnenbild |
Ben Zwaal | Interpretation der Architektur durch Tanz und Pantomime |
Jörg U. Lensing | Der Einsamkeit einen Ort der Gemeinsamkeit entgegensetzen. Räume für Theaterarbeit |
Andreas Bischoff | Ruhrgebiet. Architekturlandschaft als kulturelle Szene |
Stefan Frischauf/ Jochen Aschoff | Archigram /Lebbeus Woods |
Wilfrid Jochims | Spur, Weg, Strecke. Beobachtungen zur musikalischen und szenischen Raumerfahrung |
Joachim Lemke | "Wenn mir alles bekannt ist, ist Leben so ein Wiedersehen". Intermezzo für ein Violoncello und zwei Stimmen mit Texten von Saint-John Perse und der Sonate für Violoncello von P. Hindemith |
Benedikt Stahl | Illusionierung. Szenerien. Themen für das Raumlabor |
Rolf Grossmann | Räume, Medien und aktive Klanggestaltung |
Christian W. Thomsen | Von mediengestützten Raumkörpern und Körperräumen zu medialisierten Körpern: Cybersex |
Referenten- Verzeichnis:Dr. Ilka Kügler, Direktorin Theater-Museum Düsseldorf, Dr. Rolf Groszmann, Sonderforschungsbereich Bildschirmmedien, Siegen, Prof. Dr. Christian W. Thomsen, Univ.-Gesamthochschule Siegen und DFG-Sonderforschungsbereich Bildschirmmedien, Prof. Wilfrid Jochims, Direktor der Hochschule für Musik und Theater Rostock, Arbeitsgruppe aus der Hochschule für Musik und Theater Rostock unter der Leitung von Joachim Lemke (Regie), Dipl.-Ing. Benedikt Stahl, Architekt, LB FHD, Ben Zwaal, Bewegingstheater BEWTH Amsterdam, Andreas Bischoff, LEG NW GmbH Duisburg, Stefan Frischauf und Jochen Aschoff, Dipl.-Ing. Architekten.
Einführung in den Themenkreis
- In vorhistorischer Zeit waren wohl die Nutz-funktionen der Architektur und ihre magisch-mythischen Bedeutungen miteinander ver-quickt. In der Sprache der gebauten Dinge la-gen ungetrennt ineinander: die praktische Brauchbarkeit, das kosmisch-Zeichenhafte, das Schmückende, das emotional Erregende, die magische Wirkung und vielerlei Bedeutung, die später - in historischer Zeit - der Kunst, Unterhaltung, Religion etc. differenziert zuge-ordnet wurde. Zum Repertoire dieser Sprache gehörten magische Bilder, rituelle Bewegun-gen, szenische Angebote, die alle Sinne und die Phantasie berauschten. Leibraum (Bauch, Traum, Rausch) und kosmischer Raum (Sternenhimmel, Himmelskuppel, Horizont, waren wohl als Darstellungsmotive noch nicht voneinander getrennt; in ihrer Vergleichung, ja Identifikation lag das Betörende. Das Ich als von der Welt gelöstes Subjekt war noch nicht erfunden.
- Die erste bedeutende "Rationalisierung" der menschlichen Erkenntnis ist die Trennung von Wahrnehmung (Sinne) und Vorstellung (Denken, Traum), von Wissenschaft (Erkenntnis von Typischem), Kunst (erfinderische Komposition) und Religion (Sinnfragen vom Typus "woher? wohin?") sowie die Trennung der Künste voneinander (Poesie, Architektur, Malerei, Skulptur, Musik, Tanz). Durch diesen kulturellen Vorgang wird das Betörende vom Ernüchternden, die Unterhaltung von der Belehrung getrennt. Es handelt sich um die Entdeckung des Geistes als trennendes Werkzeug der Erkenntnis. In der Architektur sehen wir diesen Übergang vom Magisch-Mythischen ins Rationale, vom Dunklen, Ganzheitlichen zum Hellen, Diffe-renzierten deutlich, wenn wir die Tempel von Malta mit der griechischen Stadt, mit ihren di-versen Szenen und ihrer Agora vergleichen. Die erdgedeckten Tempel von Malta sind Welthöhlen wie Leibeshöhlen, Schlaf, Ge-räusch und Geruch darin, von Priesterinnen beherrscht, dunkle Orte, im Raum verloren. Die hellen Städte der Griechen sind dagegen differenzierte Systeme für verschiedenartigen Gebrauch, Bauwerke wie Worte nebeneinander gesetzt und gereiht, Gefäße für verschiedenar-tige Tätigkeiten, Interessen und Aufgaben.
- Wenn nun "Stadt" als Collage getrennter Ein-zelfunktionen entsteht und wenn menschliche "Kultur" sich primär in diesem Rahmen ent-wickelt, so sind die kulturellen Phaenomene besonders am Getrenntsein verschiedenartiger Szenen ablesbar. Die Architektur hilft, Räume für diverse Tätigkeiten, Interessen und Aufga-ben voneinander zu trennen, indem sie Orte setzt und den Funktionen dort spezifische Formen zuordnet. So entstehen Tempel für ri-tuelle Feiern, Konzerthallen für instrumentale und vokale Musik, Sporthallen für Gymnastik, für Wettspiele etc., Schulen für dialektisches Sprechen, Schreiben etc., Markthallen für den Handel mit Dingen, Theater für die Auffüh-rung von Sprech- und Schauspielen, Gerichte für die öffentliche Unterscheidung von Schuld und Unschuld, Rathausloggien für die Selbst-darstellung der Mächtigen, Pinten als Nischen für den Rausch, Diskos für die Inszenierung der Ekstase ... Istanbul, Hongkong, Rom, Mar-rakesh, New York. Musik Tanz, Handel, Sport, Belehrung, Erholung, Wohnen etc. sind durch die Mittel der Architektur einander gegenüber-gestellt, voneinander getrennt. Das "patch- work" der Stadt zeigt eine Verteilung und Verknüpfung von Aktivitäten, die bestimmten kulturellen Gewohnheiten entspricht. So entsteht die Stadtgestalt als szenischer Ent-wurf des Lebens.
- Die Stadt als komprimierte Darstellung einer Kultur, ist durch das Aufdämmern des elek-tronischen Zeitalters bedroht. Es zeigt sich die Auflösung (oder der Untergang?!) der Stadt als Rahmen des kulturellen Lebens mit erstaunli-cher Geschwindigkeit. Erlaubt doch die Ein-führung der elektronischen Medien die Ver-mittlung von Sprache, Schrift, Bild, Ton und räumlicher Atmosphäre über große Distanzen sowie die Speicherung von Vorgängen in der Zeit. Die Ausführung des Berufs, der Arbeit, des Vergnügens, ja der kulturellen Treffs wird zunehmend unabhängiger vom besonderen Ort, d.h. von der Stadt. Man telefoniert vom Auto aus, führt sein Büro im TEE etc... Die Ange-bote des Lebens sind zunehmend netzartig or-ganisiert, räumlich aber beliebig verstreut. Der Stadtraum wird - wenn überhaupt - diskontinu-ierlich erlebt. Architektursprache wird eher punktuell verstanden, fragmentarisch. Die Stadt hat aufgehört, eine zusammenhängende, körperlich erfahrbare Szene zu sein.
- Wenn das so ist, wenn das Kontinuum des öf-fentlichen Raumes und fortschreitend auch das des privaten zerfällt, so entspringt gerade dar-aus DIE neue Verpflichtung der entwerferi-schen Arbeit der Architekten. Der Raum der Architektur ist deutlicher, wirkungsvoller, her-ausfordernder als ein SZENISCHER RAUM zu artikulieren! D.h. vor allem: der Leibraum als kultivierter Nahraum des Körpers ist als An-gelpunkt aller Raumvorstellungen im Gebauten zu verankern! Der ganzheitliche, sinnliche Zu-sammenhang des Raumes muß gerade durch Architektur definiert, d.h. dargestellt werden, während er in der Gerätetechnik verlorengeht. Vor diesem Hintergrund müssen die Ent-wurfsziele vom Städtebau bis zur Innenarchi-tektur neu bestimmt werden. Wir müssen an-spruchsvoll artikulieren, WIE der architektoni-sche Raum Bühne für Begegnung sein kann - allerdings unter Einbeziehung der elektroni-schen Erweiterung und Verzerrung der Wahr-nehmung. Die räumliche Nähe ist - angesichts der phantastischen medialen Vermittlung der Ferne - so kostbar wie nie. Die Zone des un-mit-telbar sinnlich Erlebbaren ist als Anker der Wahrnehmung, der Erinnerung und des Kör-pergefühls unter neuen Bedingungen neu zu gestalten.
- Was hat Architektur mit Musik zu tun?
- Die faktische Unmöglichkeit, sich der Architektur /der Musik sinnlich zu ent-ziehen. Daraus resultierend: die primäre Suggestion des Architekturraums als In-nenraum / die primäre Suggestion der Musik als Hörraum (das Phaenomen der allseitigen Umhüllung = Drinnensein).
- Die gemeinsame aesthetische Harmonie - Grundlage, die im Monochord des Pytha-goras demonstriert wird. Die gute Pro-portion (1/1, 1/2, 2/3, 3/4 etc.) als Basis für die kontrollierte Entwicklung der harmonischen Formen. (Quantitäten-Re-lation als Qualität).
- Das Musik-Erlebnis hängt auf mehrfache Weise vom Raum ab. Musik braucht Echoraum, Resonanzraum (physikalisch) Aufführungsorte, Konzertsäle (künstlerisch und sozial).
- Das Architekturerlebnis hängt stark vom Hörraum ab (Echoorientierung, Klang-stimmung). Die proxemischen Empfin-dungen (Nähe/Ferne, angenehm/unan- genehm) sind stark auditiv bestimmt. Man orientiert sich hörend. Der Gleich-gewichtssinn ist (physiologisch) im In-nenohr placiert.
- Die faktische Unmöglichkeit, sich der Architektur /der Musik sinnlich zu ent-ziehen. Daraus resultierend: die primäre Suggestion des Architekturraums als In-nenraum / die primäre Suggestion der Musik als Hörraum (das Phaenomen der allseitigen Umhüllung = Drinnensein).
- Was hat Architektur mit Tanz zu tun?
- Raum und Bewegung bilden für Archi-tektur und Tanz eine Bedeutungseinheit. Raum und Bewegung interpretieren sich gegenseitig. Der durch Bewegung geord-nete Raum als Grundstruktur der Archi-tektur, die durch Bewegung geordnete Zeit als Grundstruktur des Tanzes. Raum und Zeit werden qualitativ miteinander verbunden.
- Der Architekturraum wird gestaltet durch "virtuelle Bewegungen" (Architektur als "Leben - der Möglichkeit nach"). Der Tanz wird gestaltet als "virtueller Kör-perraum". Er entfaltet die Möglichkeiten des Körpers / des Lebens im Raume. Architektur und Tanz: beides beruht auf "Möglichkeitsdenken" in Raum und Be-wegung. In diesem Sinne ist beides uto-pisch und szenisch: utopische Szenerie.
- Notationen: viele Architekturzeichnun-gen (insbesondere Grundrisse) können als Notationen von möglichen Bewegungen verstanden werden. Umgekehrt: wir können szenische Notationen / Simulationen als Entwurfshilfe benutzen.
- Raum und Bewegung bilden für Archi-tektur und Tanz eine Bedeutungseinheit. Raum und Bewegung interpretieren sich gegenseitig. Der durch Bewegung geord-nete Raum als Grundstruktur der Archi-tektur, die durch Bewegung geordnete Zeit als Grundstruktur des Tanzes. Raum und Zeit werden qualitativ miteinander verbunden.
Denk-Gebäude - Entwerfen unter drei philosophischen Aspekten
Dokumentation eines Seminars zu Fragen der Architektur-Theorie im Lehrgebiet Grundlagen des Entwerfens (Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Meisenheimer), durch den Fachbereich Architektur der FH Düsseldorf im SS 1996, Schloß Gnadenthal
Inhalt:
Wolfgang Meisenheimer | Einführung in den Themenkreis |
"Von der Natur lernen?!" | |
Erich Schneider-Wessling | Die Einbettung des Gebauten in die Natur/ die Einfügung der Natur in das Gebaute |
Georg Verhas | Die Erfindung der Natur in der Gartenkunst |
"Von der Geschichte lernen?!" | |
Gisbert Hülsmann | Die Geschichte als Fundgrube für die Suche nach dem Elementaren |
Bernward v. Chamier | Das Wesentliche liegt VOR der Geschichte |
Dieter Fuder | Die Angst vor dem Allerneuesten oder für eine Architektur des Ereignisses |
Ulf Jonak | Wissen wir denn, was wir wahrnehmen? Oder: unsere vergeblichen Versuche, aus der Geschichte auszubrechen |
"Von den Künsten lernen?!" | |
Günter Zamp Kelp | Gebaute Virtualität - Das Gegenständliche und die Aura des Medialen |
Jean Flammang | Bildende Kunst, Architektur prägend |
Kazuhisa Kawamura | Lernen vom Do (Weg)? |
Referentenverzeichnis:
Prof. Dipl.-Ing. Erich Schneider-Wessling, lehrt an der Akademie der Künste München "Entwerfen", Dipl.-Ing. Georg Verhas, Architekt/Landschaftsarchitekt, Berlin, Prof. Dipl.-Ing. Gisberth Hülsmann, lehrt an der FH Aachen "Entwerfen", Prof. Dipl.-Ing. Ulf Jonak, Univ.-Gesamthochschule Siegen, lehrt "Grundlagen der Gestaltung" und "Entwerfen", Prof. Dipl.-Ing. G. Zamp-Kelp, lehrt an der HdK Berlin "Gebäudeplanung, Raumgestaltung und Vermittlungstechnik", Prof. Dipl.-Ing. Kazuhisa Kawamaura, lehrt an der FH Mainz "Grundlagen der Gestaltung", Prof. Jean Flammang, lehrt an der Univ. Dortmund, FB Architektur "Entwerfen und Baukonstruktion", Prof. Dipl.-Ing. Bernward v. Chamier, FHD, lehrt "Entwerfen" sowie "Typologie und Darstellung von Bauformen", Prof. Dr. Dieter Fuder, FHD, lehrt "Designtheorie".
Einführung in den Themenkreis
Wenn es stimmt, daß "Zeiten des Fragens" und "Zeiten des Antwortens" einander abwechseln, so leben wir augenblicklich wohl eher - künstlerisch, oekonomisch, politisch - in einer Zeit der konservativen Antworten, in einer Zeit der Absicherung, des Erhaltens. Risiken werden versicherungstechnisch, finanziell und juristisch vermieden, ja bestraft. Auch das Studentenleben spiegelt diese Tendenz zur Unbeweglichkeit: bürgerliche Attituden - Besitz, Bonus, Scheine - verdrängen die Lust zum Experimentieren, zum Wagnis, zur Frage. Deshalb wird es Zeit, wieder das Fragen zu betonen - unabhängig von "Erfolg". Hochschulen sollten vor allem Denk-Werkstätten sein, d.h. wichtige, ergiebige Fragen finden!
Um möglicherweise neue Fragen zu entdecken /aufzudecken, lassen Sie uns zunächst an die ältesten Fragen in der Geschichte der Architekturtheorie erinnern und einige Varianten ihrer Beantwortung.
1. "VON DER NATUR LERNEN?! ..."
Im archaischen, vorhistorischen Verständnis Europas war "Natur" eine dunkle, unbeherrschbare, zu fürchtende Macht, dem Menschen und der Kultur entgegenstellt, unverständlich, unnahbar, bedrohlich. Erst mit der frühgriechischen Philosophie geschieht die zweitausendjährige, aber sogleich enthusiastische Hinwendung zur "Natur" als Ordnungsidee, als Lerngegenstand, als positives Denkbild.
Natur als Ordnungs-Idee
Vitruv (Zehn Bücher über Architektur, 2. Buch, 1. Kap., 33-14 v.Chr.) beschreibt, wie die ersten Menschen, ihre Architektur erfindend, Naturformen nachahmen, Höhlen, Nester, Laubbäume. Architektur entsteht für ihn sogleich analog zur Natur. Alberti (Florenz, 1485) fordert "concinnitas" (Schönheit, Gestaltqualität), die Teile der Architektur sollten wie die Teile der Natur (z.B. bei den Lebewesen) zueinander passen. Daniele Barbaro (1550) und Andrea Palladio stellen die Natur gar als intelligent dar. In der Natur gebe es geistige Momente, Ideen. "Natura è una intelligenza". (Wie diese Thesen an Goethes Naturanschuung vorauserinnern!) Kunst und Architektur sollten nach dem Intelligenzprinzip der Natur schaffen, insbesondere im Hinblick auf die Proportional-Ordnung. "Architectura è quasi un'altra natura!" Die gemeinten Ordnungen sind rational und einfach. Noch mit dem Dämmern der Moderne, etwa bei dem Abbé Marc-Antoine Laugier (1750) ist die Keimzelle aller möglichen Architektur eine naturnahe "Urhütte", ihre Elemente sind technisch vernünftig geordnet. Etiènne-Louis Boullée fordert, die Baukörper sollten vollkommene Bilder der natürlichen Vernunft sein, zugleich Spiegel des Universums und Tempel der Vernunft: "l'image la plus frappante et la plus grande des choses existante"!
Natur als Bild, als schöner Gegenstand
Besonders in der englischen Gartenarchitektur erscheint Natur als "Landschaft". Sie wird als kultivierte Erfindung des menschlichen Geistes, als schön geordneter Garten gesehen. Besonders im 18. Jahrhundert erscheinen "Gartentraktate" als Musterbücher für arrangierte, künstliche Natur. Gerade die Abbildung der Natur durch Natur wird zum Thema, insofern steht die Gartenkunst der Landschaftsmalerei besonders nah. Die Architektur soll im malerisch verstandenen Landschaftsbild eine angemessene Rolle spielen. Bei Jean-Jacques Rousseau (La Nouvelle Heloise, 1761, Briefroman) spielt auf ein künstlicher Park als "Ersatz-Natur" die Rolle einer Bühne für moralischpsycholologische Entwicklungen. Der Fürst Hermann v. Pückler-Muskau (Andeutungen über Landschaftsgärtnerei, 1834) definiert den Park als Bildergallerie, als eine Art Idealbild für das poetische Gemüt des Gebildeten.
Natur als Ausdrucksmotiv moderner Gestaltung
Rudolf Steiner (Goetheanum I und II, 1915-1925) versucht, im Goetheschen Sinne das Weltganze (das Geistige eingeschlossen) als "Organismus" zu sehen. Auch der neue Baustil sei eine Metamorphose des organischen Ganzen, eine Art "Abdruck kosmischer Kraftlinien". Hugo Häring (1925) betont in seinen Bauten und Schriften - entsprechend einer Theorie der organhaften Natur - die Entwicklung vom Statischen zum Dynamischen. Dabei wird "organhaft" im funktionalen Sinne verstanden, eher auf Vorgänge als auf Formen bezogen. Fr.L. Wright (Broadacre-City, 1935) sieht in den modernen Großstädten die Wurzel allen Übels der Gegenwart-Zivilisation. Die Landschaft sei ins Haus zu holen, im Hause darzustellen, "Landhäuser" seien mit großzügigen Innen-außen-Verbindungen in die Natur einzubetten.
Natur als Reservoire
Besonders seit den 60-er Jahren wird die Natur als gefährdetes Reservoire von Materialien und Kräften öffentlich diskutiert. die "oekologische" Architektur-Diskussion stellt das klimatische Potential der Natur (Sonne, Luft, Wasser, Grün) in den Mittelpunkt der Entwicklung auch des Bauens. Nicht so sehr die Ordnungsqualitäten, vielmehr die physische Potenz der Natur als vorgegebene und nur zum Teil sich selbst regenerierende Umwelt ist jetzt Gegenstand einer neuen Angst, der Angst, die Natur zu verlieren...
Sollen wir /können wir von der Natur lernen? Welcher "Natur" - Definition ´nähern wir uns bei unseren Arbeiten an, der Natur als Ordnungsmacht, als Bild, als Gestaltmotiv, als physisches Potential? Oder sind wir längst "jenseits" der Natur in einen artifiziellen Bereich eingeschlossen?
II. "VON DER GESCHICHTE LERNEN?! ..."
Vorbedingungen für die Zustimmung zu dieser Frage (pragmatisch gesprochen: einen "kreativen Historismus") sind zwei Denk-Positionen:
- Das Vergangene als "Geschichte" ist eine vom Jetzt gelöste eigene Qualität, die aber gleichwohl vom Jetzt aus greifbar /darstellbar ist.
- Diese Qualität enthält etwas nicht Abgeschlossenes, Wiederholbares, genau genommen: eine nicht-geschichtliche Qualität.
Naheliegend ist also nicht die Modellvorstellung der Zeit als Faden /als unendlich weiterlaufende Linie, sondern die Vorstellung der Zeit als Spirale, die sich fortsetzt und dennoch wiederkehrt.
Lassen Sie mich einen kaleidoskopischen Blick in verschiedene Geschichts-Konzeptionen werfen, d.h. in die Geschichte der Ideen über Geschichte.
Der römische Kaiser Hadrian umgab sich in seiner Villa TIBUR in Tivoli mit Hunderten von Demkmälern, Erinnerungsstücken, Reiseandenken, Grabmalen, Zitaten und Trophäen aus Stein. Ihm schwebte wohl eine Art Historien-Werkstatt vor, die vergangene und aktuelle traditionelle und "moderne" Objekte aus der Kunst-, Kultur-, Polit- und Religionsgeschichte nebeneinander vorführte, belehrend, erfreuend und anregend. Alles das wohl als geistiger Raum um seine Person herum. Andrea Palladio und die vielen Palladianer in aller Welt benutzten elementare römische Bauformen als typologisches Vokabular für eine neue "Architektursprache". In systematischen Variationen wurden Formeln aus dem Inventar der römischen Baukunst abgeleitet und in jeweils neuen Entwurfssituationen angewandt: Geschichtliches hier nicht als einzelnes Erinnerungsstück, vielmehr als Arbeitsmodell benutzend. Etiènne Boullée, der berühmte Revolutionsarchitekt, schreibt von "architecture parlante", einer architektonischen Bildersprache, deren Szenen belehrend und erschütternd auf das Gemüt der Betrachter wirken sollen. Er wünscht sich die stärksten poetischen und erzieherischen Wirkungen durch Grundformen aus dem Fond der Geschichte, euklidisch elementarisiert. Viele bürgerliche Variationen von Historismus werden beim Aufdämmern des Maschinenzeitalters psychologisch und sozialpolitisch eingesetzt, im öffentlichen Raum "Tugenden" zu demonstrieren, etwa Gotisches für Ehrlichkeit (Rathäuser), Renaussanceformen für aesthetische Bildung (Museen) oder Barockes für Festlichkeit (Opernhäuser). Die frühe Moderne, insbesondere die 40 Jahre (CIAM-Bewegung 1920-1960) ist sicher auch als Abwendung von solchem Geschichtsverständnis zu würdigen.
Eine aesthetische Sprache ohne historisierende Formeln setzt sich international durch, um das "moderne Leben" als totale Neukonzeption zu legitimieren. Leben und Bauen ohne Geschichtsbezug ist aber unmöglich. Die faschistische Architektur der 20-er und 30-er Jahre knüpft selten an a-historische Modernität an (Giuseppe Terragni), sehr viel häufiger mit platten Zitaten an römische Machtgesten (Albert Speer). Der italienische Rationalismus (Bruno Muratori,Aldo Rossi ca. 1970) greift auf der städtebaulichen Ebene typologische Methoden wieder auf, die das in der Geschichte Bewährte pflegen und in modernen Materialien und Formen wieder aufleben lassen wollen. Dagegen bieten die vielen postmodernen Varianten der 80-er Jahre Zerrbilder der Geschichte, die z.T. in synkretistischen Collagen Formen zusammenbringen. Eine kurze Zeit scheint alles erlaubt, die Stretegien der Werbung werden bedenkenlos auf Architektur angewandt. Einige Architekten erweisen sich als diensteifrige Funktionäre der Mediengesellschaft.
Bevor wir die Diskussion der Gegenwart-Kultur eröffnen möchte ich an zwei bedeutende Denksysteme unserer Zeit erinnern, die vielleicht keinen unmittelbaren Einfluß auf Architektur hatten, ohne die aber ein Einstieg in die "Geschichte der Gegenwart" (d.h. in unsere Arbeit) nicht gelingt. Erstens Marcel Proust (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, 1913-1917), seine großartige Darstellung der Vielschichtigkeit der Geschichte ALS BEWUSSTSEINSFORM. Die Geschichte ist in der Gegenwart zu entdecken! Und zweitens Joseph Beuys (vergl. Stüttgens'Darstellung seines Utopie-Begriffs in ad 21!), insbesondere seine Zeitvorstellung. Die Struktur des Jetzt wird aufgebaut durch Rückgriffe in verschiedene Tiefenzonen der Geschichte UND in den numinosen Raum der Vorgeschichte, des Magisch-Mythischen.
III. "VON DEN BILDENDEN KÜNSTEN LERNEN?! ..."
Zwei antipodische Denkpositionen sind selbstverständlich möglich. Einerseits: Architektur und bildende Kunst sind von verschiedener Art (z.B. durch die Funktionen-Bindung der Architektur, ihre Innenraum-Charakteristik etc.) und deshalb in ihren Spezifika zu entwickeln. Andererseits: die Weiterentwicklung der Architektur bekommt ihre wichtigsten Anstöße in ihren Randzonen, in ihren Grenzbereichen, im eigentlich Un-Architektonischen, z.B. durch Avantgarde-Leistungen in den bildenden Künsten...
So haben z.B. folgende "Entdeckungen" der klassischen und der neuesten Moderne inzwischen nicht abzuschätzende Folgen für das Entwerfen von Architektur.
Die Collage-Techniken der kubistischen Malerei (Juan Gris, Pablo Picasso, Georges Braque, Kurt Schwitters etc., 1912). Der spielerische Umgang mit Doppeldeutigkeiten, abhängig von der "Einstellung" des Betrachters. Die unmittelbare Auswirkung wissenschaftlicher Erkenntnisse (z.B. der Gestaltpsychologie von Christian v. Ehrenfels, Wolfgang. Metzger) auf künstlerische Arbeit. Das kreative Vorspiel der neuen Chaos-Theorien (Kontrolle des Unkontrollierbaren).
Mobiles (Alexander Calder, Jean Tinguely etc.) Bewegung - mechanische und virtuelle - wird konkret in die Arbeit der bildenden Künste einbezogen. Die Raum-Ästhetik der Architektur (École des Beaux Arts) gewinnt dynamische Züge: Futurismus, Konstruktivismus etc.). Die Architektur öffnet sich den Phaenomenen der Gleichzeitigkeit, der veränderten Blicke. der doppelten Standorte, der Ortlosigkeit (Pilotenwelt) etc..
Elektronische Medienkünste (Film, TV etc.) Wort- und Bildwelt halten Einzug in die "Architekturhäute". Bewegungsstrukturen werden zu "szenischen" Formen des Gebauten. Neue Formen der Mitteilung machen virtuelle Wirklichkeiten zu architektonischen Strukturen. Die Medienkünste überrunden die Architektur als Erziehungsmedium im öffentlichen Raum. Architektur lernt, in die Werbewelt einzugreifen.
Land Art (Richard Long, James Turrell, H.-Jörg Voth etc.). Die Eroberung sehr weiter kosmischer Dimensionen: Weltweite! Die Wiedereroberung magisch-mythischer Bedeutungen als religiöse Prägung der künstlerischen Produktion. Die Eröffnung eines neuen Elementarismus philosophischer Art (neue Konzepte "intelligenter Natur").
Wir können (als Architekten) von den Avantgarden der bildenden Kunst lernen, Fragen zu stellen. Diese Fragen sind auf Methoden gerichtet (Verfahren), auf Inhalte (Themen, Motive), auf Materialien und Werkzeuge (Mittel), oder auch auf die Bedingungen der Kommunikation (für wen? bei welchem Anlaß? etc.).